The Making of IG Übersetzerinnen Übersetzer

aus Sicht unseres Langzeitvorsitzenden Werner Richter

Während sich in den 1950er Jahren in mehreren Ländern die Literaturübersetzer (damals noch umstandslos ungegendert) organisierten, nutzte man in Österreich noch längere Zeit die Möglichkeit, einfach dem deutschen VdÜ beizutreten – da ja auch die Mehrzahl der Verlage in Deutschland waren.
Dennoch hielt es Anfang der 1980er eine Gruppe von Übersetzerinnen für geboten, auch in Österreich eine Berufsvertretung zu gründen, um die Literaturübersetzung zusammen mit anderen Kreativenverbänden (vor allem der Schriftsteller·innen) vor den politischen Entscheidungsträgern zu repräsentieren. Auslöser war das hingegrantelte Diktum von Bundeskanzler Bruno Kreisky: „Organisieren Sie sich!“ anlässlich des ersten österreichischen Schriftstellerkongresses, außerdem hatte damals gerade der Paul-Zsolnay-Verlag die Gründung eines Betriebsrats untersagt und dabei eine Kollegin praktisch mit Berufsverbot belegt.

Gründungsjahre

So fanden sich 1981 mehrere Übersetzerinnen (zunächst nur Frauen) unter Führung von Utta Roy-Seifert zusammen und gründeten die Übersetzergemeinschaft (sic! allerdings schon damals mit der heute noch gültigen Langform Interessengemeinschaft von Übersetzerinnen und Übersetzern literarischer und wissenschaftlicher Werke).
Die ersten Treffen fanden meist in wechselnden Kaffeehäusern statt. Das Monopol an der Zweierlinie war anfangs sehr beliebt, weil es einen separaten Raum hatte – nicht dass es allzu konspirativ zuging, aber Utta war aus einer Generation, wo „die Wände Ohren haben“, weshalb man nicht vorsichtig genug sein konnte. Die Gründungsmitglieder waren neben Utta Roy-Seifert Senta Kapoun, Hilde Linnert, Andrée Pazmandy, Uta Szyszkowitz und Helga Treichl.
Ich selbst bin kurz vor der ersten Jahresversammlung dazugestoßen, auf Hinweis der Uniprofessorin Dr. Hildegund Bühler, die damals eine Lehrveranstaltung mit einem Anflug von Literaturübersetzen anbot. Man lud mich zu einem Treffen ein, das meiner Erinnerung nach im Esterházykeller stattfand, jedenfalls nahm ich eine endlose Steintreppe in die Tiefe zu einer geschlossenen Tür, hinter der ein Höllenlärm tobte – diese Stadtheurigen haben ja eine grauenhafte Akustik –, und beim Öffnen wurde es dann gleich noch lauter. Aber man hieß mich herzlich willkommen, fratschelte mich routiniert aus, befand mich alsbald für einen der ihren und bot mir das kollegiale Du an – wobei Helga Treichl, die Übersetzerin von Françoise Sagan, nicht ganz über ihren großbürgerlichen Schatten als Bankiersgattin springen konnte und mir damals Endzwanziger zuraunte: „Na gut, kannst Tante Helga zu mir sagen.“
Alphatier Utta agierte als naturtalentiertes Zoon politicon, rührte bei unzähligen Veranstaltungen die Trommel für unseren Berufsstand mit dem legendären Zwischenruf „Und die Übersetzer!“, lukrierte sogar Startkapitel von einem „Sponsor“ und fädelte vor allem hervorragende Kontakte zur Politik bzw. zur Ministerialbürokratie sowie zu befreundeten Verbänden im In- und Ausland ein, um auf vielen unterschiedlichen Schauplätzen dafür zu sorgen, dass die Literaturübersetzung als literarische Kunstform anerkannt wurde: bei der Etablierung der Bibliothekstantieme, im Förderwesen des Kunststaatssekretariats und der Stadt Wien sowie bei der Gründung des Wiener Literaturhauses 1991, wo die IGÜ seitdem einer der drei Mitgliedsvereine ist.

Die ÜG im Literaturhaus

Damit gab es nun endlich ein echtes ÜG-Büro. Bis dahin hatte die Administration (schon ganz früh mit Unterstützung von Brigitte Rapp) zum Teil auf Utta Roy-Seiferts Sofa, zum Teil in einem kleinen Kämmerchen, von Vorstandsmitglied Andrée Pazmandy stattgefunden, das diese netterweise gratis beisteuerte. Im Literaturhaus gab es nun angemessene Infrastruktur, Platz für Vorstandssitzungen oder Mitgliedertreffen und sogar die Möglichkeit für öffentliche Veranstaltungen. Schon bald wurde das Büro, das Brigitte Rapp von 1987 bis 2021 als Geschäftsführerin leitete, durch Ruth Karzel und Nadja Grössing verstärkt, etwas später stieß Claudia Zecher als Nachfolgerin von Ruth zum Team.

Von Beginn an ein Highlight: Das Übersetzer·innenseminar

Bereits 1984 wurde mit dem jährlich im Frühling stattfindenden Übersetzer∙innenseminar eine immer heiß ersehnte Gelegenheit für Kolleginnen und Kollegen in ganz Österreich geschaffen, sich miteinander zu treffen. Die Idee eines Workshopwochenendes war ein wenig vom VdÜ abgekupfert, wo einige von uns immer wieder mal hingefahren sind bzw. heute noch hineinschnuppern. Auch dort ging und geht es um das Geselligkeitsmoment und die Vernetzung, ebenso sehr aber auch ums Organisieren unseres zunächst einmal einzelkämpferischen Berufs. Diese beiden Elemente haben wir gern übernommen – bei der konkreten Seminarstruktur wollten wir eigene Wege gehen und haben die jährlichen Themenschwerpunkte mit Vorträgen und Diskussionen im Plenum sowie Berichten aus allen Workshops entwickelt. Eine solche Akzentsetzung ist bei den deutlich kleineren Dimensionen des österreichischen Seminars natürlich leichter zu bewerkstelligen.
Unsere Locations waren meist Empfehlungen von lieben Mitgliedern: Pöllau in der Steiermark kam von Senta Kapoun, Zell an der Pram in Oberösterreich von der viel zu früh verstorbenen Maria Fehringer und schließlich Yspertal in Niederösterreich als heißer Tipp von Christa Rothmeier. Dort kommen wir bis heute im Mai oder Juni zusammen.

Lobbyarbeit für den Beruf

Neben der Fortbildung von Mitgliedern und Interessent·innen war und ist ein wichtiges Anliegen die Einsetzung von Prämien und Auszeichnungen für Literaturübersetzungen – wobei es anfangs durchaus kräftigster Lobbyarbeit bedurfte, um die zuständigen Ministerialbeamten davon zu überzeugen, dass nicht nur das renommeesteigernde Übersetzen österreichischer Literatur in die Fremdsprachen Preise verdient, sondern auch die Bereicherung der Sprache durch Übersetzungen ins Deutsche. 1985 wurde der Staatspreis für literarische Übersetzung erstmals ausgeschrieben, und zwar von Anfang an in zweifacher Form (ein Preis pro Sprachrichtung).

Angekommen in der Gegenwart

Inzwischen ist die IG Übersetzerinnen Übersetzer – die Umbenennung erfolgte nach lebhafter Debatte, die gefühlte drei Mitgliederversammlungen gedauert hat, im Jahr 2012 – als fixes Element der österreichischen Kulturszene etabliert und nimmt an deren Diskussionen und Aktionen aktiv teil. Das geschieht derzeit vor allem im Rahmen des Kulturrats Österreich durch die neue Geschäftsführerin Anja Malich, die ihr Amt 2022 angetreten hat.
Hier soll es um die History gehen, trotzdem riskiere ich einen kurzen Blick in die Zukunft. Es wird immer eine aktuelle Aufgabe sein, sowohl die Mitgliederschaft wie auch deren Vertretung im Vorstand nicht überaltern zu lassen, sondern auch Neuzugänge solidarisch in den Verband einzugliedern. Ein wichtiges Themenfeld schon der sehr nahen Zukunft ist die Frage, welche Rolle „künstliche Intelligenz“ in Form von Neural Machine Translation beim Übersetzen spielen wird – einerseits als unser selbst gewähltes Arbeitsmittel, aber auch als Konkurrenzmodell, wenn derartige Technologien von Verlagen statt unserer Arbeit eingesetzt werden. Von wesentlicher Bedeutung wird es in diesem Zusammenhang auch sein, ob sich die IGÜ eines Tages die Rolle als repräsentative Vertretung unseres Berufsstandes erwerben kann, um mit Auftraggebern und den (kultur)politischen Akteuren verhandeln zu können.

Werner Richter, 2023