Mit dem Ende Februar 2024 veröffentlichten Offenen Brief zur KI-Verordnung haben die deutschsprachigen Übersetzer∙innenverbände IGÜ (A), VdÜ (D) und Ad*S (CH) zum Einsatz von Maschinenübersetzungssystemen und generativer „künstlicher Intelligenz“ (KI) bzw. Large Language Models (LLMs) – im Folgenden KI – bereits öffentlich Stellung bezogen.
Für Übersetzende ergeben sich unter Einbeziehung der Ergebnisse aus den ebenfalls 2024 von CEATL und VdÜ unter Übersetzenden durchgeführten Umfragen aus Sicht der IG Übersetzerinnen Übersetzer derzeit folgende zehn relevante Punkte zu KI:
10 Punkte zu KI für Literaturübersetzer∙innen (Stand Juli 2024)
1.) Der breite Einsatz von KI könnte dazu führen, menschengemachte Übersetzungen weitgehend zu ersetzen. Schon jetzt verändert KI den Literaturbetrieb, und es besteht die Gefahr, dass Übersetzende ihren Beruf aufgeben (oder gar nicht erst aufnehmen), wenn sich die aktuellen wirtschaftlich prekären Rahmenbedingungen weiter verschlechtern.
2.) Rein computergenerierte Übersetzungen reproduzieren einen Status quo von Sprache und verflachen sie. Dabei ist zu bedenken, dass die dynamische Weiterentwicklung von Sprachen für uns alle und für eine demokratische Gesellschaft zentral ist, und dass die Dominanz des Englischen als Lingua Franca und Relaissprache durch den Einsatz von KI weiter verstärkt wird. Der drohenden Reduktion der Vielfalt von Literatur und sprachlichem Ausdruck wollen wir mit unseren Kompetenzen entschieden entgegenwirken.
3.) Wenn es sich bei einem Text um eine rein maschinengenerierte Übersetzung handelt, muss das für Leser∙innen klar gekennzeichnet sein. Vor dem Hintergrund des rasant zunehmenden KI-Einsatzes kommt der Übersetzer∙innennennung deshalb eine noch größere Bedeutung zu, so prominent und an so vielen Stellen wie möglich. Sie garantiert Leser∙innen, dass hier ein Mensch am Werk war, der die zwischenmenschlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Implikationen zu interpretieren vermag, während die Maschine den Text nur berechnet, aber nicht begreift. Umso mehr sind wir alle dazu aufgerufen, die Kompetenzen von Literaturübersetzer∙innen und ihre Rolle als Literaturvermittler∙innen sichtbarer zu machen.
4.) Die Qualität der Übersetzung und ein verantwortungsvoller Umgang mit den Werken unserer Autor∙innen sind für uns zentral. Unser aller Anspruch ist deshalb immer, nach bestem Wissen und Gewissen eine Übersetzung anzufertigen, die dem Originalwerk stilistisch und inhaltlich gerecht wird und für die wir die Verantwortung übernehmen und mit unserem Namen geradestehen. Dieser Anspruch gilt auch für den Einsatz von KI, wobei es uns Übersetzer∙innen freistehen sollte, ob und in welchem Umfang wir sie für die Arbeit nutzen möchten. Zu bedenken ist in jedem Fall, dass KI kein Ersatz für die eigene übersetzerische Kreativität ist.
5.) Sofern Autor∙innen- oder Übersetzungsverträge den Verzicht auf den Einsatz von KI beinhalten, ist dies zu konkretisieren, da es derzeit keinen Konsens gibt, was unter „Einsatz von KI“ fällt.
6.) Post-Editing, das Nachbearbeiten von maschinell erstellten Vorlagen, ist mit eigenen Herausforderungen verbunden. Um ein Ergebnis zu erreichen, das einer menschengemachten Übersetzung nahekommt, bedarf es in jedem Fall der Kompetenz von erfahrenen Übersetzer∙innen und der Entwicklung eines Bewusstseins für die spezifische Fehleranfälligkeit von KI. Auch die besondere kognitive und psychische Belastung, die mit Post-Editing einhergehen kann, sollte nicht unterschätzt werden.
Vor allem aber ist der Zeitaufwand für diese Arbeit bei seriöser Durchführung meist nicht geringer als beim Übersetzen ohne maschinengenerierte Vorlage, weshalb für Post-Editing ein mindestens gleichwertiges Honorar wie für klassische Übersetzungsaufträge angemessen ist (möglichst aber ein Stundenlohn nach Aufwand).
7.) Eine Übersetzung ist nur dann urheberrechtlich geschützt, wenn sie die persönliche geistige Schöpfung eines Menschen darstellt Dabei dürfte der Grad der Bearbeitung darüber entscheiden, ob ein post-editierter Text urheberrechtlichen Schutz erlangt. Hier ist aktuell von Rechtsunsicherheiten auszugehen.
8.) Laut Urheberrecht kann die Nutzung der eigenen Übersetzung für das Text- und Data-Mining (siehe § 42h. (6) österreichisches Urheberrechtsgesetz) untersagt werden. Vertragliche Regelungen, diesen Vorbehalt geltend zu machen („Opt-out“), sind jedoch noch nicht empirisch belegt, und die rechtliche Auseinandersetzung in diesem Zusammenhang ist derzeit in vollem Gange.
Darüber hinaus stellen wir an Politik und Gesetzgeber die Forderung nach titelgenauer Transparenz hinsichtlich der Herkunft und Zusammensetzung bereits eingespeister sowie zukünftiger Daten und nach einer − wie auch immer umzusetzenden − angemessenen Vergütung für ein Training von KI-Systemen unter Verwendung der geistigen Arbeit von Übersetzer∙innen, sofern dieses nicht ohnehin durch ein „Opt-out“ verboten wurde.
9.) Zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Originaltexten der Autor∙innen gehört auch eine kritische Haltung gegenüber neuen KI-Technologien und deren statistisch-automatisierten Vorgängen. Ihre Verwendung kann Urheberrechtsverstöße und Verstöße gegen Urheberpersönlichkeitsrechte nach sich ziehen. Wenn wir urheberrechtlich geschützte Originale in KI-Systeme einspeisen, werden diese möglicherweise zum weiteren Training der Systeme genutzt. Einige Systeme bieten immerhin spezielle Einstellungen bzw. Bezahloptionen, um die Speicherung der Daten und damit die Nutzung zum weiteren Training zu verhindern. Wichtig wird in jedem Fall sein, die technologische Entwicklung im Blick zu behalten.
10.) Über die Auswirkungen auf Sprache und den Berufsalltag von Übersetzer∙innen hinaus, gibt es weitere Bedenken, die oft vergessen werden: Der ökologische Fußabdruck von KI-Software ist zum Beispiel enorm und darf genauso wenig ignoriert werden, wie die Ausbeutung von Beschäftigen in Billiglohnländern, die unter unzumutbaren Bedingungen diskriminierende und menschenverachtende Inhalte aus den wahllos gesammelten Daten herausfiltern müssen.